Kirche mitten im Leben
Voneinander lernen, aneinander wachsen
Wie möchte ich leben? Was ist mir wichtig? Der Hauptbereich Schule, Gemeinde- und Religionspädagogik gibt Anleitungen und Impulse dazu, wie Kinder und Jugendliche innerhalb und außerhalb des Klassenzimmers über Sinnfragen und Wertvorstellungen nachdenken und diskutieren können. Neben dem Wissen über Religion geht es vor allem darum, den Glauben als etwas Individuelles zu begreifen. Ein Schlüssel dazu ist ein respektvoller und vertrauensvoller Austausch miteinander. Wenn er gelingt, macht er neugierig auf die Vielfalt des Leben.
Eine Reise zum Meer
Lernen ohne Tafel, Pausenglocke und Bücher, dafür aber mit viel Raum zum Ausprobieren, Austauschen und Anpacken: Bei den Tagen Ethischer Orientierung (TEO) Klima sammeln junge Menschen praktische Erfahrungen in Sachen Umweltschutz. Dadurch entsteht ein Bewusstsein für unsere Erde und seine Bewohner:innen wie es in der Theorie kaum vermittelbar wäre. Ein Video-Beitrag über eine ganz besondere Klassenfahrt.
Tage Ethischer Orientierung auf einen Blick
-
TEO gibt es mit unterschiedlichen Schwerpunkten: Klima, Outdoor, Lino (seelische Entwicklung), Neuland (Arbeit mit Geflüchteten), Toto (erwachsen werden) und Wikki (norddeutsche Geschichte). Außerdem werden TEO Protect Privacy (Sicherheit im Netz), TEO Local (ohne Übernachtung), TEO Classic (Lebensfreude) und TEO k-hoch-5 (Konfliktlösung) angeboten.
-
Es geht darum, praktische Erfahrungen an einem außerschulischen Ort zu sammeln: Beim Austausch in den Gruppen geht es um ethische Fragen – jedoch nie mit erhobenem Zeigefinger. Ziel der Exkursionen mit Klassenfahrt-Charakter ist es, das soziale Miteinander und die Reflexionsfähigkeit der Teilnehmer:innen zu fördern.
-
Die Veranstaltungen dauern in der Regel drei bis vier Tage (außer TEO local) und richten sich an unterschiedliche Altersklassen und Schulformen. Gemeinsam vorbereitet und verantwortet werden diese Tage durch die Lehrer:innen unterschiedlicher Fachrichtungen sowie die Mitarbeitenden der kirchlichen Kinder- und Jugendarbeit. Zudem arbeiten auch Studierende und Ehrenamtliche an den Projekten mit.
-
Bewerben können sich Lehrkräfte mit ihren Gruppen bei der Nordkirche und dem Erzbistum Hamburg. Ansprechpartner finden sich hier auf einen Blick. Die Veranstaltung ist für die Teilnehmer:innen in der Regel kostenlos – inklusive Verpflegungspaket und Unterbringung in einer Jugendherberge.
Gemeindepädagogik: Was ist das?
Gemeindepädagog:innen haben genauso wie Pastor:innen, einen Verkündigungsauftrag. Ihr Job ist es, Menschen vom Kindes- bis ins Seniorenalter über Glaubensthemen ins Gespräch zu bringen.
Hier erzählen drei von ihnen, was sie an ihrer Arbeit besonders wertschätzen.
-
Heike Klaas
Gemeindepädagogin in Plate (Meklenburg-Vorpommer)
Das Herz meiner Arbeit? Mit Kindern und Jugendlichen so in Beziehung kommen, dass Vertrauen daraus wird.
Ihre Freude und Neugier und auch die Traurigkeiten teilen. Der Verheißung folgen, dass der Grund auf dem wir leben, uns trägt und uns immer wieder in den Himmel und nach den Sternen springen lässt.
Mich treibt es an, einen Ort der Begegnung und der „Be-ja-ung“ vorzubereiten. Es soll ein Ort sein, an dem wir uns selbst, die anderen und das Andere mit den unterschiedlichsten Lebensthemen immer neu entdecken können.
-
Rolf Paulsen
Gemeindepädagoge in Itzehoe (Schleswig-Holstein)
Ich arbeite nach 25 Jahren kirchlicher Kinder- und Jugendarbeit der Berufsschule: Schulkooperative Arbeitsstelle im Kirchenkreis. Was für ein Glück, hier mit jungen Menschen unterwegs zu sein, die wir mit unseren gemeindlichen Angeboten nicht erreicht haben.
Spannende Lerngruppen in unterschiedlichsten Schul- und Ausbildungsgängen – multikulturell und interreligiös. Und für alle ist es da, dieses Evangelium von der zurechtbringenden Liebe Gottes in Jesus. Sie sucht sich ihren Weg zu den Menschen ... hilft, heilt, tröstet, ermutigt, entlastet, befreit. Das mitzuerleben begeistert mich sehr – immer wieder.
-
Janna Menz
Gemeindepädagogin in Farmsen-Berne (Hamburg)
Mein Job ist ein Tuschkasten an Möglichkeiten! Jede Minute kommen neue Impulse hinzu: Mal fällt mir beim Einkaufen im Supermarkt eine coole Idee für den Konfi-Unterricht ein, mal scrolle ich abends durch Social-Media und denke: das kann man bestimmt auch mit meinen Jugendlichen ausprobieren!
Ich darf Dinge ausprobieren, mich jeden Tag neu erfinden und auch mal auf die Nase fallen. Und genau das ist das Herz meiner Arbeit. Ich bin Gemeindepädagogin. Aber vor allem bin ich Impulsgeberin, Berufsberaterin, Seelsorgerin, Projektmanagerin, Texterin, Filmemacherin, Wissenschaftlerin und vieles mehr.
-
Konstantin Schulz
Gemeindepädagoge in Bützow-Baumgarten-Tarnow (Mecklenburg-Vorpommern)
Ich mag die Vielseitigkeit und Kreativität in meinem jetzigen Job. Mein erster Beruf war Tischler. So kann ich zum Beispiel mit Jugendlichen einen Jugendraum ausbauen. Oder über alte Handwerkstechniken unsere Kirchgemäuer neu entdecken.
Man kann einfach unglaublich viel Spaß bei der Arbeit haben. Und das ist wichtig. Denn wir sollen die gute Botschaft verbreiten, nicht die schlechte: Hier darf man so sein, wie man ist und muss sich nicht verstellen. So habe ich es selbst erfahren, so möchte ich es weitergeben. Mein Job ist es, Begegnungsräume zu öffnen. Und frischen Wind hereinzulassen.
Fragen zum Leben ohne Richtig und Falsch
Religionsunterricht – wozu braucht man den denn heute noch? Vielleicht ist die einfachste Antwort darauf: Um über sich selbst hinauszuwachsen.
Wir haben zwei Lehrerinnen und einen Lehrer aus allen drei Bundesländern auf dem Gebiet der Nordkirche (Mecklenburg-Vorpommern, Hamburg, Schleswig-Holstein) gefragt, wann der Unterricht zur Sternstunde wird.
Wie sieht gelungener Religionsunterricht heute aus?
“Der Unterricht bietet ein Mehr
fürs Leben!”
Diana Schlüter-Beck unterrichtet in Parchim und ist am Pädagogisch-Theologischen Institut der Nordkirche (PTI) Studienleiterin für den Religionsunterricht in der Sekundarstufe I sowie religionspädagogische Begleiterin im Schulvikariat in Mecklenburg-Vorpommern.
Foto: Privat
“Ganz nah am Leben! So sieht guter Religionsunterricht aus. Und er sollte auch so bunt wie das Leben sein. Deswegen frage ich die Schüler:innen zu Beginn eines Schuljahres auch immer, was sie persönlich interessiert – das dürfen auch Themen sein, die nicht im Rahmenplan stehen, aber sozusagen oben auf liegen.
Inklusion, Frauenrechte - auch das sind unsere Themen
Mit einer 10. Klasse habe ich das Thema Iran und die dortige Situation der Frauen aufgegriffen. Anlass war eine Demo zum Todestag von Mahsa Amini.
Wir haben daraufhin Kontakt zur iranischen Gemeinde in Parchim aufgenommen und gefragt, ob nicht eine junge Frau aus ihren authentischen Erfahrungen erzählen könne, wie die aktuelle Lage im Iran ist. Und das wird sie tun. Dabei streifen wir auch die Themen Rechte und Freiheiten, Kleidungsvorschriften sowie die Stellung von Frauen in den Religionen weltweit.
Und die Frage: Wie gehen wir eigentlich mit anderen Weltreligionen um?
Ein anderes Beispiel ist der Schülerwettbewerb zur politischen Bildung, bei dem sich immer viele Querschnittsthemen ergeben, die auch mit Religion und Glauben zu tun haben. Aktuell arbeitet eine Klasse von mir gerade zum Thema Gehörlosigkeit und Inklusion. Also: Was bedeutet das eigentlich, wenn im Alltag der Untertitel fehlt?
Eingeladen habe ich dazu eine junge Frau aus unserer Region, die mehrfach deutsche Meisterin bei den Deaflympics war. Und jetzt arbeitet die Klasse ganz emsig an diesem Projekt, weil die Religionsschüler:innen einen direkten Bezug zur Lebensrealität herstellen konnten.
Die schönsten Rückmeldungen sind die, in denen Schüler und Schülerinnen sagen, dass sie etwas fürs Leben mitgenommen haben.
Eine Lerngruppe aus der 12. Klasse überraschte mich letztes Jahr mit dem Fazit, Religionsunterricht sei das einzige Fach, in dem sie wirklich denken sollen. Über diese Rückmeldung habe ich mich sehr gefreut.
Reli-Unterricht soll neugierig machen auf das Leben in all seinen Facetten
Denn genau darum geht es: Religionsunterricht hat nichts mit Missionierung zu tun, hier muss keiner getauft sein oder in die Kirche eintreten. Es soll einfach als ein „Mehr“ fürs Leben begriffen werden und eine Chance bieten, die eigene Perspektive zu weiten und sich als Persönlichkeit umfassend, auch religiös, entwickeln zu können. Das ist mir sehr wichtig: Er soll neugierig machen auf das Leben in all seinen Facetten – wozu auch die Religionen gehören –, Offenheit fördern und den Mut entwickeln, hinter die Fassaden zu blicken.”
“Wir teilen miteinander , woran unser Herz hängt”
Dennis Graham unterrichtet in Hamburg-Allermöhe und ist am Pädagogisch-Theologischen Institut der Nordkirche (PTI) Studienleiter für den Religionsunterricht in der Sekundarstufe II in Hamburg.
Foto: PTI
“Wir sind das kleine Fach mit den großen Fragen: Was ist dir heilig? Was ist eigentlich gerecht? Und existiert Gott wirklich? Das sind einige Beispiele für Fragen, die das Fach Religion aufgreift – und zwar dialogisch und für alle.
Der Dialog ist für uns eine Haltung
Dialog ist nicht nur als Methode zu sehen, sondern auch als Konzept und als Haltung: Schüler:innen und Lehrkräfte tragen mit Offenheit und gegenseitigem Respekt etwas Echtes von sich in den Unterricht hinein. Hier gibt es nicht die eine Lösung, die richtig ist. Sondern hier teilen wir miteinander, woran unser Herz hängt, was uns heilig ist, woran wir glauben und womit wir hadern.
Ein Beispiel aus der Schule: Gerade habe ich eine fünfte Klasse übernommen, wir lernen uns noch kennen.
Das geht besonders gut mit der Frage: „Was ist dir heilig?“ Zuerst habe ich selbst zwei Gegenstände mitgebracht – einen, der auf den ersten Blick nicht religiös ist: meine E-Gitarre, die in meinem Geburtsjahr gebaut wurde und die vor vielen Jahren in mein Leben geraten ist.
Und dann eine druckfrische Bibel im Format eines Notizbuches. Ich habe noch keine Geschichte mit dem Buch an sich. Aber ich sage: „Der Inhalt – der ist mir heilig.“ So wird das Mitbringen von etwas Heiligem für einige Wochen unser Klassen-Ritual zum Stundenbeginn.
Manchmal ist das ein Kuscheltier als Andenken an die verstorbene Großmutter, der Torjubel des besten Freundes oder auch religiöse Gegenstände, wie ein kleines Bronzekreuz oder ein Koran. Diese Gegenstände werden durch das Erzählen zu Symbolen, durch die sich für die Lerngruppe ein Fenster zum Transzendenten öffnet.
Vielseitig und spannend wird Religionsunterricht da, wo er dialogisch ist. Wo er von dem Leben der Schüler:innen her gedacht und inszeniert wird.
Der Religionsunterricht ist eine gemeinsame Suche
Es geht darum, einen Raum für echte Fragen zu eröffnen, in dem Schüler:innen sich in einer gemeinsamen Suchbewegung eine eigene Position aneignen können und differenzsensibel werden.
Und wenn echte Dialoge zwischen Schüler:innen dazu führen, dass ihnen das Herz aufgeht und es ihnen richtig ernst ist, mit dem, was wir da gerade machen – dann stimmt das Arrangement.”
“Wir sensibilisieren dafür, dass es nicht nur eine Wahrheit gibt”
Nicole Hansen unterrichtet in Kiel und ist am Pädagogisch-Theologischen Institut der Nordkirche (PTI) Studienleiterin für den Religionsunterricht in der Sekundarstufe II in Schleswig-Holstein.
Foto: Privat
“Religionsunterricht lässt einen Raum entstehen, in dem alle ihre persönliche Meinung äußern und eigene religiöse Gedanken und Gefühle erproben können. Idealerweise geschieht dies in einem Dialog, der immer die Würde des anderen und der anderen wahrt.
Wunderbar ist, wenn Schüler:innen neues Denken und Fühlen zulassen
Ein Beispiel: Wir sitzen in einer 5. Klasse und unterhalten uns über Gottesvorstellungen. Die eine Schülerin sagt, dass Gott für sie ein alter Mann auf einer Wolke sei. Ein anderer stellt sich Gott als ein helles Licht vor. Wenn dann nicht gelacht wird, sondern andere Schüler: innen entgegnen, dass sie das spannend finden, weil sie ganz anders empfinden, wenn sie neugierig aufeinander sind, ist das für mich eine Sternstunde.
Wunderbar ist, wenn es gelingt, dass Schüler:innen mal ihre angestammte Position verlassen und ein neues Denken und Fühlen zulassen.
Mir persönlich ist daher das Thema ‘Wahrheit’ zunehmend wichtig: Ich versuche, die Kinder und Jugendlichen von Beginn an dafür zu sensibilisieren, dass es nicht nur die eine Wahrheit gibt, sondern dass jeder Mensch eine Prägung mitbringt, dass persönliche Wahrheiten sich auch im Laufe des Lebens verändern.
Ich verwende dafür oft das Kinderbuch ‘Fisch ist Fisch’: Ein Frosch hüpft an Land und versucht seinem Freund zu beschreiben, was er dort sieht. Da ist etwa eine Kuh, die er detailliert schildert.
Und in der Gedankenblase des Frosches entsteht eine Kuh, die zwar ein Euter und einen Schweif hat, gleichzeitig aber auch Schuppen und Flossen. Weil etwas anderes für den Fisch eben gar nicht denkbar ist. Wir nennen das in der Oberstufe dann den konstruktivistischen Wahrheitsbegriff.
Daraus ergibt sich als eine Möglichkeit ein Religionsverständnis, bei dem ich dem oder der anderen zugestehe, dass auch er oder sie mit ihrer Sicht der Dinge recht haben könnte.
Vertrauen und Beziehungsarbeit sind der Schlüssel
Gleichzeitig muss meine eigene Wahrheit nicht egal oder beliebig werden. Zudem hat vermutlich jeder Mensch Grenzen, bei dem, was er anderen zugestehen kann.
Grundlage für all das ist Vertrauen. Religionsunterricht hat deswegen sehr viel mit Beziehungsarbeit zu tun. Wenn wir es schaffen, einander zuzuhören, ohne uns gleich zu disqualifizieren, dann ist der Unterricht gelungen. Bei der Frage der persönlichen Grenze kann der Religionsunterricht so etwas wie ein Proberaum oder Mini-Labor für unser gesellschaftliches Zusammenleben sein.”
Das sagen Kinder zum Religionsunterricht
Ein Gespräch mit Hans Ulrich-Keßler, Leiter des Hauptbereich, Schule, Gemeinde und Religionspädagogik
Gute Noten für den Reli-Unterricht: “Wenn’s brenzlig wird”
Hans-Ulrich Keßler leitet den Hauptbereich Schule, Gemeinde- und Religionspädagogik der Nordkirche. Er sagt: Der Religionsunterricht im Norden ist ein Erfolgsmodell. Denn er spreche Kinder und Jugendliche unabhängig davon an, ob sie sich religiös verbunden fühlen.
Foto: Susanne Hübner
“Dem Religionsunterricht in Norddeutschland geht es gut“, sagt Hans-Ulrich Keßler, Leiter des Pädagogisch-Theologischen Instituts der Nordkirche. „Schülerinnen und Schüler geben dem Religionsunterricht richtig gute Noten“.
Das decke sich allerdings häufig nicht mit der Außenwahrnehmung des Schulfachs. Keßler sprach mit dem Deutschlandfunk über die Bedeutung von Religion in der Schule.
Das Christentum ist nicht immer Thema im Elternhaus. Für viele Schülerinnen und Schüler ist der Religionsunterricht der erste und damit wahrscheinlich auch der wichtigste Ort, sich mit Religion auseinanderzusetzen. Da die Mitgliederzahlen der großen Kirchen seit Jahren sinken, ist es nicht erstaunlich, dass auch die Schüler:innenzahlen im Religionsunterricht deutschlandweit rückläufig sind.
Sich selbst und andere verstehen beim Reli-Unterricht für alle
Doch im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern nehmen laut Keßler derzeit rund 40 Prozent der Kinder am Reli-Unterricht teil, obwohl die Mitgliedschaft in der Kirche in dieser Altersgruppe bei gerade einmal zehn Prozent liegt. Die Kinder täten dies, obwohl sie frei wählen können, sagt der Theologe.
Gute Erfahrungen mache man auch in Hamburg mit dem Modell des Religionsunterrichts für alle.
Die Kooperation mit anderen Religionsgemeinschaften sei auch deshalb erfolgreich, weil die verschiedenen Religionen so dargestellt würden, wie sie sich selbst verstehen.
Einblicke in andere Traditionen fördern gegenseitigen Respekt
„Ich glaube, dass es besonders einleuchtet, in der Schule Religionsunterricht so zu organisieren, dass die Schülerinnen und Schüler einander verstehen lernen in ihren unterschiedlichen Traditionen. Und dass sie auch lernen, wie sie ihrer eigenen Tradition treu sein können und zugleich den anderen die Treue zu ihrer Tradition gestatten können. Das inszenieren wir hier in Hamburg, wie ich finde, ziemlich erfolgreich“.
Der Vorteil des Religionsunterrichts gegenüber dem Fach Ethik ist laut Keßler, dass die Religionslehrer nicht dem staatlichen Neutralitätsgebot verpflichtet sind. Bei Religion gehe es um mehr als Ethik.
„Jede Religion verbindet sich auch mit einem eigenen Wahrheitsanspruch, und das ist eigentlich der Bereich, in dem Religion brenzlig wird“ erklärt der Theologe. Wo sich Religion mit einem Wahrheitsanspruch verbinde, lägen die Gefahren von Religion. „Und das kann wiederum nur der Religionsunterricht zum Thema machen.“
Reli-Dom on tour
Im Jahr 2019 hatte die Nordkirche die Kampagne „Raum für Fragen“ zum Religionsunterricht gestartet. Unterwegs mit einem aufblasbaren Kuppelzelt ging es mit dem Reli-Dom auf Tour durch zwölf Städte.
Der obige Artikel fasst zusammen, worum es in der Kampagne ging und warum der Religionsunterricht im Norden großen Zuspruch erfährt. Er basiert auf einem Radio-Interview, dass Hans-Ulrich Keßler, Leiter des Pädagogisch-Theologischen Instituts der Nordkirche, damals im dem Deutschlandfunk-Kultur gab.
Hier können Sie das Gespräch in voller Länge anhören. Das Interview führte Axel Rahmlow, zuerst erschienen am 11. September 2019 im Deutschlandfunk.
Plakate zur Aktion #RaumfürFragen
Schulseelsorge in der Nordkirche
Begleitung, Stärkung und Orientierung: Schulseelsorge richtet sich an Kinder und Jugendliche, das Kollegium einer Schule, die Eltern und weitere Mitarbeitende. Die Seelsorgenden sind ansprechbar bei Alltagsproblemen, Mobbing, in akuten Krisen und bei Trauerfällen, und auch bei Fragen rund um den Glauben.
Schulseelsorgende sind nicht nur Lehrkräfte, auch Pastorinnen und Pastoren, Diakone und Diakoninnen und Gemeindepädagoginnen und Gemeindepädagogen können sich ausbilden lassen.
Das Pädagogisch-Theologischen Institut (PTI) bietet (in Kooperation mit der Jungen Nordkirche) seit dem Jahr 2010 eine „Weiterbildung Schulseelsorge“ an. Rund 180 Personen haben das einjährige Programm seitdem durchlaufen.
Daneben bietet das PTI zahlreiche Online-Kurse (in Kooperation mit der Jungen Nordkirche) zu unterschiedlichen Themen wie beispielsweise Sexualisierte Gewalt, Einsamkeit in der Schule oder Spielsucht an.
Rund 120 Menschen sind im Bereich der Nordkirche als Schulseelsorgende im Einsatz. Eine davon ist Religionslehrerin Stefanie Böhmann. Sie hat an ihrer Schule im Stadtteil Billstedt mit der „Oase“ einen Raum für Fragen geschaffen.
Schulseelsorge an der Stadtteilschule Öjendorf
Die Oase: Ein geschützter Ort zum Reden
Der Stadtteil Billstedt am östlichen Rand Hamburgs gilt als sozialer Brennpunkt. Mittendrin liegt die Stadtteilschule Öjendorf (STSÖ).
Auf der einen Seite gehören Probleme wie Kinderarmut, Kriminalität und radikale religiöse Ansichten hier zum Alltag. Engagierte Lehrerinnen wie Stefanie Böhmann setzen sich auf der anderen Seite ein für Toleranz, Dialog und gegenseitiges Verständnis in einer vielfältigen Gesellschaft.
Lehrerin Stefanie Böhmann hat mit der “Oase” an der Stadtteilschule Öjendorfeinen geschützten Ort geschaffen, an dem Schülerinnen und Schüler über alles sprechen können, was sie beschäftigt.
Foto: Simone Viere
Pius Nyarko, ehemaliger Lehrer der STSÖ, und Lehrerin Sheila Kajuga beim Antirassismustag. Foto: Stefanie Böhmann
Rund 750 Kinder aus 40 Nationen gehen auf die Stadtteilschule. Mehr als 75 Prozent der Schülerinnen und Schüler haben einen Migrationshintergrund.
2010 kam Stefanie Böhmann an die Schule. „Ich hatte eine schwierige Klasse mit vielen nicht diagnostizierten Förderschülern. Eine Schülerin, die sich auf der Toilette eingesperrt hat und nicht mehr rauskam, weil sie Angst hatte. Ein Kind, das überfordert war mit den Depressionen der Mutter, ein anderes, das selbst an Depressionen litt“, erinnert sich die Religionslehrerin.
Jugendliche können Fragen ohne Tabus stellen
Schnell wird der heute 46-Jährigen klar, dass das Handwerkzeug, welches sie an der Uni gelernt hat, hier nicht ausreicht. Sie will sich versetzen lassen an eine andere Schule, doch ihr Antrag wird abgelehnt. „Da wusste ich, wenn ich hier nicht wegkomme, dann muss ich etwas tun, damit ich hier in irgendeiner Form überlebe. Und dann bin ich auf die Schulseelsorge aufmerksam geworden.“
Beim Pädagogisch-theologischen Institut der Nordkirche macht sie die Fortbildung zur Schulseelsorgerin. Als Praxis-Projekt baut sie die „Oase“ an ihrer Schule auf. Die „Oase“ ist ein gemütlicher Treffpunkt innerhalb der Schule: Hier gibt es Sofas, Tee und vor allem einen offenen Raum für Fragen. Ein geschützter Ort, an dem die Kinder und Jugendlichen mit Pädagogen und Religionsvertretern über alles reden können.
Kein Thema ist tabu: „Über Blutrache haben wir gesprochen, über sexuelle Themen, aber auch religiöse Themen“, berichtet Böhmann.
Die „Oase“ war auch im Jahr 2015 wichtig, blickt die Religionslehrerin zurück. Als die vielen syrischen Geflüchteten Deutschland erreichten, gab es an ihrer Schule Schüler, die sich radikalisiert haben und nach Syrien ausreisen wollten zum IS.
"Einer kam und sagte: ‚Ich möchte ihnen gerne mal den Islam vorstellen‘. Er durfte das dann fünf Minuten lang tun, danach durfte ich fünf Minuten übers Christentum reden, und dann kamen wir ins Gespräch. Er hat viel gelernt, hat sich wahrgenommen gefühlt und kam ins Nachdenken“, so Böhmann.
Beim Antirassismustag tauschen sich die Jugendlichen zum Beispiel mit Juden und Jüdinnen aus. Foto: Stefanie Böhmann
Die “Oase” hat an vier Tagen in der Woche geöffnet. Foto: Simone Viere
Ihr eigener Glaube gibt ihr viel Kraft: „Er ist mein Fundament und meine Triebkraft. Ich möchte auch meinen Schülern vorleben, dass jeder Mensch ein toller Gedanke Gottes ist und gewollt ist und wertvoll ist“.
Die „Oase“ hat an vier Tagen in der Woche geöffnet; immer in der Mittagspause sind hier Ansprechpartner zu finden. Darunter sind Vertreter verschiedener Religionen und Mitarbeitende der benachbarten Arche, wo viele Kinder und Jugendliche aus dem Viertel ihre Nachmittage verbringen.
Schüler lernen, anderen mit Respekt zu begegnen
Neben einem Schüleraustausch mit Israel organisiert Stefanie Böhmann einmal im Jahr auch einen Antirassismustag an der Schule. Kinderrechte, Antiziganismus und Antisemitismus stehen dann auf dem Stundenplan der Jungen und Mädchen.
Jüdisch kochen und Musik machen sind dann genauso Themen wie Ausgrenzungen aufgrund der Hautfarbe.
„Mein Traum ist es, dass die Schüler im Laufe ihrer Schulkarriere mitkriegen, was Ausgrenzung heißt. Und dass sie bei sich anfangen können und aufpassen können, wie sie Menschen begegnen. Auch Menschen, die eine andere Hautfarbe haben oder eine andere Geschlechter-Identität“, sagt die Hamburger Pädagogin.
Der jüdische Musiker Alexej bei einem Workshop in der Schule. Foto: Stefanie Böhmann
Die Konfizeit macht stark
Irmela Redhead ist Beauftragte für Konfirmandenarbeit in der Nordkirche. Foto: Julia Krause
Freizeiten, Musik, kreatives Gestalten, Debatten und Spiele: Die Konfizeit ist bunt und hat vor allem ein Ziel: Sie soll Jugendliche stärken.
Im Mittelpunkt stehen sie: Ihre Wünsche, ihre Werte und auch ihre Zweifel. Ihre Sicht der Dinge zählt.
Die Konfizeit bietet Gelegenheit, sich mit Gott, Glauben und ethischen Fragen auseinanderzusetzen und daran zu wachsen.
Was möchte ich im Leben? Wie wichtig sind mir Gemeinschaft und Spiritualität? Und: Finde ich Halt im Glauben an Gott?
Damit diese Fragen möglichst im direkten Bezug zur Lebensrealität von Jugendlichen stehen, entwickelt Irmela Redhead, Beauftragte für Konfirmandenarbeit der Nordkirche, Impulse und Anregungen für die Arbeit mit Konfirmand*innen.
Unsere Bildergalerie zeigt einige davon.
-
Churchnight
„Vom Abheben und Abtauchen“ hieß die Konfi-Nacht in der Kirche St. Georgen in Wismar. Sie lud dazu ein, einmal im Leben unter dem Altar und ziemlich cool geschmücktem Kirchgewölbe aufzuwachen. Ein Erlebnis, das so schnell keine*r vergisst. Foto: Gunnar Ollreg
-
Psalm trifft Smartphone
Psalme sind voller Gefühle. Wer sie betet, drückt etwa Angst, Klage oder Dankbarkeit aus. Die biblische Sprache ist jedoch weit von der heutigen entfernt. Aber das kann man ändern! Konfi Mariella Stöck hat Psalm 23 („Der Herr ist mein Hirte“) in Emojis übersetzt. Foto: Mariella Stöck
-
Erzähl's mal anders!
Die biblische Geschichte vom barmherzigen Samariter ist wohl der prominenteste Appell zur Nächstenliebe. Längst hat die Story Einzug in weltliche Kontexte wie Werbeplakate und Kinofilme gefunden. Doch was macht es mit einem, wenn man sie selbst in Szene setzen darf? Zum Beispiel nur mit Küchenutensilien wie Kiwi und Co. Foto: Eliaskirchengemeinde Dortmund
-
Kirmes-Konfi
Schausteller-Kinder sind selten lange an einem Fleck. Für sie ist die Kirmes ihr Zuhause. Die Nordkirche macht es möglich, dass sie im Kreise ihrer Familien zwischen Buden und Fahrgeschäften konfirmiert werden können, wie hier 2023 in Lübeck. Das Fest stärkt ihre Verbindung zu Gott und der „evangelischen Gemeinde auf der Reise“. Foto: Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg
-
Lightpainting
Die Geschichte der Arche Noah endet damit, dass Gott einen Regenbogen sendet. Seither gelten Licht und Farbe als Hoffnungssymbol. Doch welche Zeichen verwenden Konfis ganz persönlich, um Hoffnung auszudrücken? Ausprobieren können sie es etwa beim Lightpainting – mit eindrucksvollen Ergebnissen. Vikar:innen der Nordkirche 2022
-
Mitmachen
Die Konfizeit war richtig toll. Und jetzt? Die Nordkirche bietet eine Teamer:innen-Card an. Die Schulung bestärkt Jugendliche ab 14 Jahren, in ihrer Kirchengemeinde aktiv zu werden. Das bringt Spaß und kommt auch bei späteren Chef*innen gut an: Wer sich engagiert, zeigt Eigeninitiative, Teamplay und Empathie. Foto: Irmela Redhead, Hauptbereich 1 der Nodkirche
Mit Hand und Herz
In den Konficamps der Nordkirche lernen Jugendliche von Jugendlichen. Hier gestalten sie Kirche, so wie sie sich wünschen. Der Film zeigt, wie religiöse Bildung ohne Barrieren im Kopf gelingt.
Kulturhimmel: Kunst wird ein Erlebnis für alle
Anna Luise Klafs, Studienleiterin für Kunst und Kirche im PTI, arbeitet daran, Kunstwerke nicht als Museumsstücke, sondern als Teil unserer Kultur zu begreifen. Foto: Lena Modrow
Ob Ausstellungen, Kunstwettbewerbe oder Kunst in kleinen Dorfkirchen – Anna Luise Klafs, Studienleiterin für Kunst und Kirche im Pädagogisch-Theologischen Institut (PTI), bringt Kunst ins Gespräch. Sie sagt: „Kirche ist ein großer Kulturplayer, auch wenn es nach außen häufig anders wahrgenommen wird“.
Rund 6000 Werke gibt es beispielsweise im Bestand der Grafiksammlung der Nordkirche. Dazu zählen die „Marilyn“ von Andy Warhol und Werke von Joseph Beuys, Gerhard Richter, Marc Chagall, Ernst Barlach und Käthe Kollwitz.
Die kircheneigene Sammlung wurde nach dem Zweiten Weltkrieg mit Spendengeldern und Mitgliedsbeiträgen aufgebaut, um neu errichtete, ausgeraubte oder beschädigte Kirchen mit zeitgenössischer Kunst auszustatten.
Diese Schätze können für Ausstellungen in Gemeinden oder anderen passenden Orten ausgeliehen werden. „Das ist hier keine Privatsammlung. Sie war von Anfang an für die Öffentlichkeit gedacht“, sagt Klafs.
Zu sehen sind einige Grafiken auch bei der Aktion „Dorfkirche mon Amour“. Klafs will damit wenig genutzten Kirchen auf dem Land wieder neues Leben einhauchen. Wichtig dabei ist die Zusammenarbeit mit engagierten Menschen vor Ort, motivierten Fördervereinen und Kulturbegeisterten.
Unser Film zeigt, wie es gehen kann.
Dorfkirche Zahrensdorf: “Hier passiert etwas! “
Mehr als 800 Jahre gibt es die Dorfkirche Zahrensdorf in Mecklenburg-Vorpommern. Sie ist ein Stück Heimat für viele im Ort – auch wenn längst nicht mehr alle Einwohnerinnen und Einwohner Kirchenmitglieder sind. Zu verdanken ist das einem Förderverein: Er hat aus dem einst maroden Gebäude ein Schmuckstück gemacht. Mehr noch: 2024 bewarb sich der Förderverein um eine Teilnahme bei der Reihe “Dorfkirche mon Amour” der Nordkirche.
Ein Film darüber, wie Kunst und Kirche das Gemeindeleben beflügeln.